Die Ersatzbaustoffverordnung ist ein Thema, über das derzeit viel diskutiert wird und diskutiert werden muss – nicht zuletzt die Frage, warum der Schritt vom mineralischen Abfall zum Produkt trotz klarer Regeln in der Abfallrahmenrichtlinie und im KrWG immer noch so schwerfällt. Erfahren Sie in diesem Beitrag, warum der Autor des Artikels hierzu eine sehr klare Meinung vertritt und wie die Bundesregierung die unnötige Diskussion beenden könnte.
Die meisten Leserinnen und Leser werden vermutlich zu besonderem Anlass schon einmal feierlich eine Flasche Sekt geöffnet haben. Mancher genießt gern mal einen teuren Wein, Whisky, Rum – was auch immer.
Wie viele von Ihnen haben in diesen Momenten daran gedacht, dass die Flasche mit dem besonderen Inhalt mit großer Wahrscheinlichkeit schon einmal Abfall, also Glasbruch war? Der Gedanke, die für viel Geld erworbene Flasche könnte noch immer Abfall sein, ist absurd. Das leuchtet ein, oder?
Wem das Beispiel mit dem Alkohol zu ungesund ist, nehme als Beispiel eine Tageszeitung. Analog, aus Papier – ja, das gibt es noch!
Auch hier ist es sehr wahrscheinlich, dass das Papier der Zeitung schon mal Altpapier war, also Abfall, der sich in unappetitlicher Gesellschaft herumgetrieben hat. Und trotzdem haben wir keine Berührungsängste und lesen die Zeitung beim Frühstück.
Die Beispiele ließen sich fortsetzen. Wir wollen recyceln und akzeptieren Produkte aus recycelten Abfällen. Es ist uns egal, dass viele alltägliche, aber auch besondere Sachen eine anrüchige Vorgeschichte haben.
Nur auf Bau- und Abbruchabfällen scheint irgendein Fluch zu liegen.
Die Aufbereiter von Bau- und Abbruchabfällen würden dem Ergebnis ihrer Arbeit gern den Status eines Produkts geben. Dort, wo das nicht gelingt, ist es immer die Verwaltung oder die Politik, die glaubt, das verhindern zu müssen.
Ersatzbaustoffe – Gesetzgebung im Föderalismus
Ein Punkt, der in den 15 Jahren Entstehungsgeschichte der Ersatzbaustoffverordnung immer wieder diskutiert wurde, war das Ende der Abfalleigenschaft für mineralische Ersatzbaustoffe. Ein Punkt, der in der nach 15 Jahren verabschiedeten Ersatzbaustoffverordnung nicht geklärt wurde, ist das Ende der Abfalleigenschaft. Das Abfallende wird in der Verordnung nicht einmal erwähnt.
Was war da los, liebe Bundesregierung?[1]
Ich war nicht dabei, aber mir drängt sich das Bild von ein oder zwei Landesvertretern auf, die unbedingt ihre Vorstellungen durchsetzen wollen nach dem Motto: „Entweder wir spielen so wie ich will, oder keiner spielt!“
Dabei ist es so einfach. Das Abfallende ist längst geregelt. Angefangen mit der Abfallrahmenrichtlinie der EU, die in Artikel 6 Absatz 1 klarstellt, unter welchen Bedingungen das Abfallende erreicht ist:
„Die Mitgliedsstaaten treffen geeignete Maßnahmen, um sicherzustellen, dass Abfälle, die ein Recyclingverfahren oder ein anderes Verwertungsverfahren durchlaufen haben, nicht mehr als Abfälle betrachtet werden, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind:
EU-Abfallrahmenrichtlinie Art. 6 Abs. 1
- Der Stoff oder Gegenstand soll für bestimmte Zwecke verwendet werden;
- es besteht ein Markt für diesen Stoff oder Gegenstand oder eine Nachfrage danach;
- der Stoff oder Gegenstand erfüllt die technischen Anforderungen für die bestimmten Zwecke und genügt den bestehenden Rechtsvorschriften und Normen für Erzeugnisse und
- die Verwendung des Stoffs oder Gegenstands führt insgesamt nicht zu schädlichen Umwelt- oder Gesundheitsfolgen.“
Kein: „könnte“, „sollte“ oder „Es wäre schön, wenn die Mitgliedsstatten bei passender Gelegenheit vielleicht für den einen oder anderen Abfall Regelungen zum Ende der Abfalleigenschaft treffen könnten“.
Ländervertretern, die Probleme mit dem Abfallende haben, sei gesagt: Haltet euch einfach raus. Die Forderung der Abfallrahmenrichtlinie richtet sich an die Mitgliedsstaaten. Mitgliedsstaat ist Deutschland, nicht die Stammesgebiete der Friesen, Sachsen, Thüringer, Schwaben oder Bayern.
Deutschland ist der Aufforderung gefolgt und hat Artikel 6 Absatz 1 der Abfallrahmenrichtlinie mit § 5 Absatz 1 KrWG in nationales Recht überführt:
„Die Abfalleigenschaft eines Stoffes oder Gegenstandes endet, wenn dieser ein Recycling oder ein anderes Verwertungsverfahren durchlaufen hat und so beschaffen ist, dass
§5 Abs. 1 KrWG
- er üblicherweise für bestimmte Zwecke verwendet wird,
- ein Markt für ihn oder eine Nachfrage nach ihm besteht,
- er alle für seine jeweilige Zweckbestimmung geltenden technischen Anforderungen sowie alle Rechtsvorschriften und anwendbaren Normen für Erzeugnisse erfüllt sowie
- seine Verwendung insgesamt nicht zu schädlichen Auswirkungen auf Mensch oder Umwelt führt.“
Auch hier kein rumeiern, sondern glasklar: „… die Abfalleigenschaft endet …“. Wenn die Anforderungen aus § 5 Abs. 1 KrWG erfüllt sind, erübrigt sich jede weitere Diskussion.
Nicht alle Ersatzbaustoffe können überall eingesetzt werden! Na und?
Die Auseinandersetzung mit der Ersatzbaustoffverordnung hat dazu geführt, dass ich mit vielen Menschen auch über das Abfallende diskutiert habe. In den Diskussionen waren es immer die Behördenvertreter, die ein Problem damit hatten, Abfälle aus der behördlichen Obhut in die Freiheit des Lebens als Produkt zu entlassen.
Zwei Argumente tauchten dabei regelmäßig auf:
- Produkte würden von den Abfallbehörden nicht mehr überwacht werden
- und bestimmte Ersatzbaustoffe wiesen zulässige Schadstoffbelastungen auf, die eine uneingeschränkte Verwendung nicht zulassen.
Auf das erste Argument gehe ich nur kurz ein: es sollen nur nicht gefährliche mineralische Abfälle zu Produkten verarbeitet werden, über die ihr, liebe Behördenvertreter, im Einzelnen sowieso keine Kontrolle habt.
Mit dem zweiten Argument treibe ich im Folgenden etwas mehr Aufwand.
Dürfen von Produkten unter keinen Bedingungen Gefahren ausgehen?
Wo steht das? Ich stelle mir die Frage, ob es überhaupt Produkte geben kann, die unter allen Gegebenheiten, einschließlich Missbrauch, unschädlich sind. Bisher ist mir keines eingefallen.
1. Beispiel: Lebensmittel oder Kinderspielzeug
Lebensmittel und Kinderspielzeug sind Produkte, auf deren Gefahrlosigkeit wir vertrauen. Man stelle sich jetzt vor, dass wir eine ausreichend große Menge von Lebensmitteln oder Kinderspielzeug aus ausreichend großer Höhe auf eine Person abwerfen. Ich meine, dass diese harmlosen Produkte unter den beschriebenen Bedingungen zu einer spürbaren Beeinträchtigung des Wohlbefindens der Person führen, auf der die Produkte landen.
Merke: Bei nicht bestimmungsgemäßer Benutzung kann jedes Produkt zu schädlichen Auswirkungen auf Menschen führen.
2. Beispiel: Kraftstoffe
Wir alle kennen die GHS-Kennzeichen. Damit sind Stoffe und Gemische mit gefährlichen Eigenschaften zu kennzeichnen, wenn sie in Verkehr gebracht werden. Benzin ist mit vier der neun GHS-Kennzeichnungen gelabelt.
Als ich das letzte Mal an der Tankstelle war, hat man mir ohne weiteres so viel Benzin verkauft, wie ich haben wollte. Niemand wollte einen Ausweis sehen oder hat gefragt, was ich damit vorhabe.
Merke: Es gibt Produkte mit erheblichem Gefahrenpotenzial, die völlig unkontrolliert verkauft werden und deren nicht bestimmungsgemäße Verwendung zu erheblichen Gefahren für Mensch und Umwelt führen kann.
3. Beispiel: Waffen
Noch ein Beispiel vom unangenehmen Ende des Wohlfühlspektrums. Zum Beruf des Polizisten, des Soldaten oder des Jägers gehört der Umgang mit Waffen, z.B. Pistolen. Pistolen sind unbestreitbar Produkte. Produkte, die in Deutschland strengen Kontrollen unterliegen. Die einzige Zweckbestimmung von Pistolen ist es, für Mensch oder Tier gefährlich zu sein. Die Tatsache, dass Sportschützen Pistolen ausschließlich zum Schießen auf Pappscheiben oder Tontauben benutzen, ändert nichts daran, dass die primäre Zweckbestimmung des Produktes in seiner Gefährlichkeit besteht.
Merke: Es gibt Produkte, deren bestimmungsgemäße Benutzung eine Gefahr für den Menschen oder die Umwelt (Tiere) darstellt.
Fazit: Die uneingeschränkt ungefährliche Verwendung kann kein Produktmerkmal sein!
Warum wird dann bei Ersatzbaustoffen immer wieder betont, dass z.B. ein BM-F3 kein Produkt sein kann, weil dieser Ersatzbaustoff nicht in einer Trinkwasserschutzzone I offen eingebaut werden darf?
Ein BM-F3 kann ohne Gefahr für Mensch oder Umwelt so verwendet werden, wie die Ersatzbaustoffverordnung es für BM-F3 vorsieht. Das genügt. Missbräuchliche oder fahrlässig falsche Anwendung kann bei BM-F3 natürlich Gefahren hervorrufen, so wie dies bei jedem Produkt möglich ist.
Es gibt keinen Grund, weshalb BM-F3 oder irgendein anderer nach den Regeln der Ersatzbaustoffverordnung hergestellter und verwendeter Ersatzbaustoff weiterhin Abfall sein sollte.
Wer bestimmt, was Abfall oder Produkt ist?
Jetzt kommen die guten Nachrichten. Nicht nur, dass die Abfallrahmenrichtlinie und das KrWG das Abfallende definieren, auch Gerichte schaffen dort Klarheit, wo es nötig ist, weil irgendjemand in irgend einer Behörde Probleme damit hat, § 5 Abs. 1 KrWG zu verstehen.
Zum Beispiel der VGH München mit der Entscheidung vom 17.02.2020 (At. 12 CS 19.2505) zum Abfallende von Teppichbodenschnitzeln, die als Reitbodenbelag verwendet wurden (https://rewis.io/urteile/urteil/fli-17-02-2020-12-cs-192505/).
Wesentlich für unsere Diskussion sind die Feststellungen des VGH München, dass:
- die Abfalleigenschaft bei Vorliegen der Bedingungen aus § 5 Abs. 1 KrWG unmittelbar endet, ohne dass die Behörden einen Prognose- oder Beurteilungsspielraum hätten,
- die Beweislast für ein behauptetes Fortbestehen der Abfalleigenschaft bei der Behörde liegt,
- es für die Verweigerung des Abfallendes einer von der Behörde zu erbringenden Prognose bedarf, dass eine definierte Gefahrenschwelle überschritten wird.
Kurz gesagt: Wenn der Hersteller eines Ersatzbaustoffs feststellt, dass die Voraussetzungen für das Ende der Abfalleigenschaft nach § 5 Abs. 1 KrWG vorliegen, ist der Ersatzbaustoff ein Produkt. Ist eine Behörde damit nicht einverstanden, muss sie sich die Mühe machen, einen sauberen Gegenbeweis zu führen.
Das klingt einfach, ist in der Realität aber leider noch viel zu problematisch, weil viele Hersteller keinen Stress mit ihren Überwachungsbehörden haben wollen.
Abschließender Rat an die Bundesregierung: Lasst die Anwender nicht im Regen stehen!
Ich habe vor, in weiteren Beiträgen auf das Nachbesserungspotenzial der Ersatzbaustoffverordnung einzugehen. Hier und heute beschränke ich mich auf meinen ungebetenen Rat zum Ende der Abfalleigenschaft.
Liebe Bundesregierung, suche dir jemanden, der dir folgende Punkte erklärt:
- Die Ersatzbaustoffverordnung regelt zulässige Schadstoffbelastungen für bestimmte Ersatzbaustoffe und konkrete Einsatzbedingungen und betrifft damit ausschließlich die Anforderung aus § 5 Abs. 1 Nr. 4 KrWG.
- Eine von der Zweckbestimmung unabhängige Schadlosigkeit ist kein Produktmerkmal.
- Du, liebe Bundesregierung, bist nicht ermächtigt, eine Verordnung zu erlassen, deren Anwendung gegen die Grundpflicht zur schadlosen Verwertung nach § 7 Abs. 3 KrWG verstößt. Dabei ist völlig unerheblich, ob du die entsprechende Formulierung in § 1 Nr. 3 der EBV beibehältst oder im Zuge der Novellierung streichst.
Es ist ganz einfach. Wir brauchen keine Verordnung zum Abfallende. Nur eine Ansage an alle, die es betrifft, dass die mineralischen Ersatzbaustoffe, die nach Ersatzbaustoffverordnung hergestellt werden, keine Abfälle mehr sind. Alles andere, auch Unterscheidungen zwischen guten Ersatzbaustoffen, die kein Abfall mehr sind und schlechten Ersatzbaustoffen, die weiter Abfall bleiben, widerspricht der Idee des Abfallendes im Sinne der Abfallrahmenrichtlinie und des KrWG, kann weder aus der Abfallrahmenrichtlinie noch aus dem KrWG begründet werden und wäre damit schlicht und einfach nicht rechtmäßig.
[1] Mir ist klar, dass die Ersatzbaustoffverordnung nicht von der aktuellen Bundesregierung verordnet wurde. Ich spreche hier die Bundesregierung als ständiges Verfassungsorgan an, das die Verordnung nach Anhörung der beteiligten Kreise verabschiedet hat und als solches für ihre weitere Entwicklung verantwortlich ist.